In einem Streitgespräch in der Süddeutschen Zeitung geht es um die Frage, ob Deutschland Streit aushalten muss.
Diesem Land fehlt der Streit
Michael Bauchmüller sagt: Nur wenn in einer Demokratie über große Entscheidungen gestritten wird, gibt es auch eine breite Akzeptanz dafür. Er kritisiert, dass dieses Land bei vielen Themen gespalten ist, aber oft Sprachlosigkeit, im schlimmeren Fall Wut herrscht.
Streit ist unbequem, braucht Geduld und die Bereitschaft zum Argument. Aber er erfordert eine gemeinsame Basis: Mit Leuten, die die Erde für eine Scheibe halten, lässt sich nicht über die Zukunft des Planeten diskutieren. Mit allen anderen dagegen schon.
Im Falle der Debatte über die Heizung hätte er sich eine Debatte mit einer einfachen Frage gewünscht: Klimaneutral wohnen bis 2045 – wie soll das eigentlich gehen? Statt Unsicherheit und Spaltung hätte ein besseres Gesetz herauskommen können.
Demokratie als Ochsentour
Die Demokratie ist die Ochsentour, sie ist mehr, als alle vier Jahre ein Parlament zu wählen. Im Grunde besteht sie im ständigen Ringen um Mehrheiten. Breiten Debatten sollte dabei nicht aus dem Weg gegangen werden. Mit einer gespaltenen Gesellschaft lässt sich keine der großen Fragen dauerhaft lösen.
Streit als Selbstzweck? Dafür ist keine Zeit
Alex Rühle hält dagegen, dass es in der Klimapolitik Tatsachen gibt, die man nicht mehr diskutieren muss – denn jetzt ist Handeln gefragt.
Er vergleicht die Klimakrise mit einem Flugzeug, dessen Tanks fast leer sind (so wie unser Restbudget an Emissionen bis zum 1,5-Grad- oder auch Zwei-Grad-Limit). Ein zielorientiertes Gespräch, bei dem jeder eine realistische Lösung vorschlägt, wie man die Maschine jetzt noch sicher landet oder um es ganz konkret zu machen, wie man das 1,5- oder das Zwei-Grad-Ziel noch erreicht, ist so sinnvoll wie notwendig. Abstruse Erzählungen von skurrilen Gesprächsteilnehmern sind aber nur destruktiv: „All das hat nichts mit sinnvollem Streit zu tun, aber viel mit Lobbymacht und Missbrauch des Informationsauftrags der Medien“.
Die Fakten liegen auf dem Tisch
Der Autor kritisiert die Maßnahmen der Regierung: 140 neue Autobahnprojekte, Kohlekraftwerke, die jetzt doch erst mal weiterlaufen, ein verwässertes Klimaschutzgesetz, ein entkerntes Heizungsgesetz, das Verkehrsministerium bleibt Autoministerium und muss weiterhin nicht liefern.
Das Pariser Klimaabkommen ist völkerrechtlich bindend, um die Ziele zu erreichen muss viel passieren. Er befürchtet, dass die nächste Generation staunend fragt: Die Fakten lagen alle auf dem Tisch, es war sonnenklar, dass das Weiter-so in die Zerstörung führen wird. Dann wird der Lehrer ihnen erklären: „Ihr müsst verstehen, sie haben gestritten.“