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Dienstag, 18. Juni 2024

Halbgare Aktentaschen-Witze auf TikTok reichen der Jugend nicht

Sascha Lobo kommentiert im SPIEGEL das AfD-Ergebnis bei der Europawahl und warnt, dass halbgare Witze auf TikTok nicht ausreichen.

Junge Menschen werden nicht wahrgenommen

Der Autor vertritt die „unpopuläre Meinung“, dass er erstaunt ist, dass nur 17 Prozent der jungen Menschen AfD gewählt haben. Er sieht seit Jahren eine Verbreitung von rechten Stimmungen, wie etwa Antifeminismus, sozialdarwinistische Libertäre und natürlich auch offener Rassismus, siehe Sylt. Er hält die Entscheidung der Jugend für katastrophal falsch und menschenfeindlich – ihre Wut und die anderen Empfindungen aber sind gut nachvollziehbar. Sie werden strukturell diskriminiert, ihre Prioritäten nicht gesehen, und sie werden selten ernst genommen.

Verbot von TIkTok keine Lösung

Kurz nach der Wahl forderten manche ein Verbot von TikTok, da dort häufig populistische Themen verbreitet werden. Er bezeichnet diese Forderung als „folgerichtig“, weil man die Schuld auf das böse TikTok aus China schieben kann. Das Wahlergebnis ist ein Symptom, ein Teil der Jugendlichen wählen aus Rache, Trotz, Zynismus gegen das ganze System.

Gründe für die Wut

Gründe für diese Wut gibt es genug:

Mieten

Durch die Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus und fragwürdige Baupolitik sind die Mieten explodiert. Zu hohe Mieten und zu knapper Wohnraum münden oft in der Aussichtslosigkeit, in eine Stadt zu ziehen und eigene Wohnung zu stehen. Die Wohnfrage gehört zu den größten Zumutungen von Politik und Gesellschaft gegenüber der Jugend. In Verbindung mit Flüchtlingen eignet sich das Thema auch ideal für Populismus.

Pandemie

In der Pandemie wurde wenig auf die Jugend Rücksicht genommen. Während Abgeordnete für Maskendeals nicht bestraft werden und sogar das Geld behalten durften, wurden Jugendliche bei Fehlverhalten während des Lockdowns im Park gejagt. Auch wenn viele Maßnahmen nachvollziehbar sind, war es falsch, die Jugend (und auch die Eltern) mit den extremen Belastungen komplett allein zu lassen – auch das hat eine Abkehr vieler junger Menschen bewirkt.

Digitalisierung

Der seit Jahrzehnten beschämende Zustand der deutschen digitalen Infrastruktur hat unmittelbare Auswirklungen auf die Zukunftschancen junger Menschen: von der Bildung über die Justiz und das Gesundheitssystem bis zur Verwaltung die Dysfunktionalität uralter Strukturen und absurder Überbürokratie spürbar wird.

Sparwut

Die Schuldenbremse und die damit verbundene Sparwut gehört für den Autor zu „den giftigsten politischen Sondermüll-Hinterlassenschaften der Merkel-Jahre.“ Sie verhindert die notwendigen Investitionen in Bildung, Verwaltung und Infrastruktur. Für viele ist ein ausgeglichener Haushalt wichtiger als ein funktionierendes Land.

Integration und Migration

Junge Menschen erleben im Alltag vermutlich häufiger als durchschnittliche Erwachsene, dass ein Teil der Integration spürbar gescheitert ist und noch weiter scheitert. Niemand fordert Konsequenzen „außer der AfD, die mit rassistischem, menschenfeindlichem Remigrationsmüll um die Ecke kommt.“ Diese Debatte muss man führen: „Wenn zu viele Linke und Demokrat:innen die Integrationsproblematik ignorieren, wird das Thema viel zu oft rassistisch von rechts diskutiert, was die entsprechenden Kräfte stärkt.

Zukunftsunsicherheit

Angesichts des Zustands der Welt ist die Verunsicherung, die Zukunftsangst und das Gegenwartshadern der Jugend leicht nachvollziehbar sein. Für junge Menschen war es schon immer eine Herausforderung, ihren Platz in der Welt zu finden. Mit Inflation, Klimakatastrophe, Inflation und Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz trifft es diese Generation aber besonders hat.

Nicht in die Wut- und Hassspirale geraten

Lobos letztem Abschnitt ist fast nichts hinzuzufügen: „Das Angebot, das Olaf Scholz der Jugend gegen die bohrende Zukunftsunsicherheit macht, sind zwei halbgare Aktentaschengags auf TikTok. Es ist nie, nie, nie richtig, eine rechtsextreme Nazi-Partei zu wählen. Aber wir als Zivilgesellschaft, als liberale Demokratie müssen der Jugend Gründe geben, gar nicht erst in die Wut- und Hassspirale zu geraten, die bei vielen die Wahlentscheidung für Rechts begünstigt.“