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Freitag, 19. Juli 2024

Bildung schützt vor Dummheit nicht

In einem Beitrag im Focus rechnet der Neurowissenschaftler Henning Beck mit der Elite ab. Sie sind gefährlicher als Stammtische.

Die größten Starrköpfe findet man unter Akademikern

Ob an Berliner Unis oder in Kulturkämpfen in den USA (für Gendergerechtigkeit, für die Freiheit Palästinas oder Klimagerechtigkeit), die in den USA ausgetragen werden: Intolerante Protestformen richten massiv Schaden an. Die Zahl der Diskreditierungen und des Ausgrenzens nimmt massiv zu. Das Problem ist nicht der politische Inhalt des Protestes, sondern die Art wie er ausgetragen wird.

Herausforderungen der Debattenkultur

Eigentlich würde man von wissenschaftlich gebildeten Menschen einen zivilisierteren Umgang erwarten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die politisch intolerantesten Menschen finden Sie unter gut gebildeten Stadtbewohnern. Studien zeigen, dass Menschen mit zunehmendem Bildungsgrad politisch intoleranter und radikaler.

Bildung schützt nicht vor Radikalität

Bei vielen kontroversen Themen gibt es Gutgebildete. Sie sind schwer zu überzeugen und besonders radikal. Ein Grund: Je länger und besser Menschen mit wissenschaftlichen Fakten und argumentativen Techniken geschult werden, desto intensiver werden sich diese Menschen ihr eigenes Weltbild aufbauen.

Politische Voreingenommenheit

So führt Bildung zu Dogmatismus. Auch vermeintlich neutral Faktencheck helfen hier meistens nicht. Mit sauberen Fakten und analytischen Begründungen wird man nur wenige überzeugen. Gerade dann, wenn man ebenfalls mit Fakten und analytischen Begründungen geschult wurde.

Enttäuschung der Bildungshoffnungen

Der Autor bezeichnet es als Ironie, dass wir gehofft haben, Menschen durch Bildung offener und toleranter zu machen. Wir müssen nun feststellen: Wichtiger als eine selbstkritische Reflexion der eigenen Meinung ist der Schutz der eigenen Identität. Es wäre eine Tragödie, wenn wir wieder ein Zeitalter der wechselseitigen Intoleranz betreten.

Bescheidenheit vs. Selbstbewusstsein

Bildung muss mehr sein als ein Vermitteln von Informationen. Wissenschaft muss nach Widersprüchen suchen und Fakten in den Mittelpunkt stellen. Gute Wissenschaftler werden mit zunehmendem Wissen bescheidener, andere immer selbstbewusster. In unser Debattenkultur zählt immer mehr die plakative und robuste Schlagzeile.

Die Suche nach Bestätigung

Bei vielen Talkshows weiß man, wie sie endet - Schauen wir solche Sendungen nicht deswegen, weil man sich in seinen Ansichten bestärken will? Und liest man diesen Artikel nicht auch deswegen, weil man hofft, in seiner Position bestätigt zu werden?
Der Autor sieht darin eine Gefahr und fordert die Fähigkeit der Denkoffenheit und der Suche nach Widersprüchen im eigenen Denken zu schulen. Genau das war in der Wissenschaft immer der beste Weg. So wie mir mein Chemielehrer sagte: „Egal was du denkst, forschst oder tust – die Natur hat immer recht. Nicht du.“

Hat der Autor recht?

Der Autor gesteht ein, dass er falsch liegen könnte: „Wenn mir jemand ein besseres Argument vorlegen kann, werde ich versuchen, meine Meinung zu ändern. Ob mir das gelingt, kann ich aber noch nicht sagen. Es ist schließlich außerordentlich schwer.

Donnerstag, 11. Juli 2024

Ost-West-Unterschiede: Eine Phantomgrenze durchzieht das Land

Der Soziologe Steffen Mau beschreibt im SPIEGEL eine Phantomgrenze, die Ost und West immer noch teilt.

Gute Entwicklung in vielen Bereichen

Bei vielen statistischen Kennzahlen hat sich der Osten recht gut entwickelt: Die Arbeitslosigkeit ist niedriger geworden, die Renten sind angeglichen. Private und öffentliche Investitionen könnten dafür sorgen, dass sich auch die Produktivitätslücke schließt.
Dennoch sehen einige eine neue Entfremdung, die auf hartnäckige Unterschiede zurückzuführen ist.

Eine Phantomgrenze durch zieht das Land

Der Autor listet eine ganze Reihe von Bereichen auf, in denen es große Unterschiede gibt: Kirchenbindung, Vereinsdichte, Vertrauen in Institutionen und Parteien oder den Anteil an jungen Menschen bzw. Menschen mit Migrationsbiographie.
Große Unterschiede gibt es auch im Bereich der Wirtschaft: der Westen liegt vorn bei der Exportorientierung, dem Hauptsitz großer Firmen, Produktivität und der Kaufkraft, dem Immobilieneigentum und Erbschaftssteueraufkommen. Dass der Osten bei der durchschnittlichen Größe der landwirtschaftlichen Betriebe vorne liegt, macht dies nicht wett.

Den Westen nicht zur Norm machen

Der Autor warnt davor, den Westen überall zur Norm zu machen. Dieser Ansatz begreift den Osten vor allem als Abweichung, nicht in seinen Eigenheiten.
Während bei Vermögen und Einkommen ein Aufschließen des Ostens wünschenswert wäre, ist es bei Mieten, Schulqualität nicht. Auch die Frauenerwerbsquote, Kita-Abdeckung sollte nicht auf Westniveau sinken. Zurecht verweist er auf Unterschiede im Westen: Wir erwarten von Bayern oder dem Saarland ja auch keine Angleichung an den Rest der Republik.

Der Osten wurde zur Anpassungsgesellschaft, ohne die Blaupause West je zu erreichen

Die Dynamiken von Aufholen, Nachahmen und Angleichen flachen nach 35 Jahren merklich ab merklich ab. Wir sind in die Posttransformationsphase übergegangen, die uns klarer als bisher vor Augen führt: Der Osten wird sich dem Westen nicht weiter anverwandeln, zu stark wirken die Prägungen der DDR, die Weichenstellungen der Wiedervereinigung und die Lasten der Transformationsjahre.
Im Osten bleiben eigene Strukturen eigene Strukturen erhalten, eigene Mentalitäten, eigene politische Bewusstseinsformen; einige formten sich im Einigungsgeschehen auch neu.

Deutschland ist ungleich vereint – und wird das auch bleiben

Dramatische Eliteschwäche: Der Anteil der Ostdeutschen in Spitzenjobs in Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz und Meiden ist sehr niedrig. Westdeutschland ist recht mittelschichtig, Ostdeutschland hingegen eine einfache Arbeitnehmergesellschaft
Demographisch: Während die Zahl der Menschen in Westdeutschland wächst, schrumpfte die Zahl im Osten (ohne Berlin) von 15 Millionen 1990 auf 12.6 Millionen – weniger als in Bayern. »Schrumpfgesellschaften nehmen oft traditionsbewahrende und defensive Haltungen ein.«
Ostbewusstsein: Lange galt die ostdeutsche Identität als Problemfall, vertreten im Trümmerfeld der Linken. Heute werden Unterschiede herausgearbeitet, auch die Nachwendegeneration sehen Ostdeutsche Unterschiede, die durch Westdeutsche kaum noch wahrgenommen werden.

Gravierende Unterschiede der politischen Kultur

Ostdeutschland bleibt als sozialer und kultureller Erfahrungsraum durch reale Unterschiede, aber auch durch Familiennarrative und mediale Diskurse präsent. Dieser kommt als Opfererzählung, Osttrotz oder Oststolz daherkommen. Dazu passen die aktuellen Bemühungen, das Merkmal »ostdeutsch« in die Register der Identitätspolitik einzutragen und daraus die Forderung nach Gleichstellung und Anerkennung abzuleiten.
Unterschiede sieht der Autor auch in der politischen Kultur, die er auf die kürzere Demokratiegeschichte aber auch das Zurückdrängen basisdemokratischer Experimente in der Wendezeit.

Neuer Kipppunkt Landtagswahlen?    

Die drei bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland könnte ein neuer Kipppunkt sein. Die AfD versucht sich das ostdeutsche Gefühl zu instrumentalisieren. Das Bündnis Sahra Wagenknecht setzt sich sogar für eine spezielle Förderung von Ostdeutschen ein. FDP, Grünen und SPD drohen Verluste, sodass Regierungsbildungen schwierig werden könnten. Die Parteistrukturen in Ost und West könnten sich noch weiter verschieben.

Ost und West mehr als zwei Himmelsrichtungen

Die deutsche Einheit sieht der Autor nicht in Gefahr „Ostdeutschland ist kein Katalonien 2.0. Aber Ost und West sind in Deutschland mehr als zwei Himmelsrichtungen – und werden das auf absehbare Zeit auch bleiben.