Der SPIEGEL fragt angesichts von Messerattacken, Beleidigungen und Cybermobbing: Verroht die Gesellschaft wirklich immer mehr?
„Verrohung“- gab es auch früher
Der Artikel beginnt mit der Beschreibung von wütenden Bürger, die sich über „Gammler“ aufregen – im Jahr 1967. Eine Verrohung kann man der Gesellschaft nicht vorwerfen – sie war seit etlichen Jahren bereits so.
Zwischen 1991 und 1993 wurden in Deutschland an diversen Orten Flüchtlingsunterkünfte attackiert. Menschen verbrannten. Und 1996 fragte der SPIEGEL, ob die Gesellschaft verroht.
Ein Blick in die 1930er zeigt noch mehr Gewalt – und führte in die Grausamkeit des 2. Weltkriegs.
»99,8 Prozent aller Menschen sind wertschätzend, respektvoll und verhalten sich anständig«,
Dieter Frey, Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist überzeugt, dass die Welt viel positiver ist als es in den Medien rüberkommt und die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen sich wertschätzend verhält.
Unser Gehirn sorgt mit einem alarmistischen Grundzustand für den Eindruck, dass das Negative überwiegt. Über die Vergangenheit liegt ein farbiger Filter – auch das ein Selbstschutz, damit das Gewesene nicht zu einem Mühlstein um den Hals wird.
Problematischer Begriff Verrohrung
Auch Konstanze Marx-Wischnowski hält den Begriff Verrohung für problematisch. Ihr Forschungsgebiet – Gewalt in der digitalen kommunikation – zeigt jedoch üble Auswüchse in sozialen Medien. Dennoch betont sie: Beleidigungen, Schmähreden und übelste Verunglimpfungen hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Neu ist die „Vergemeinschaftung der Gewalt“ – der Wunsch sich gegenseitig mit enthemmtem Verhalten zu überbieten.
Awareness und Sensibilität haben zugenommen
Angestiegen ist auch die Awereness, das Bewusstsein dafür, dass eine Situation nicht okay ist, oder sogar aus dem Ruder läuft und Eingreifen erfordert. Sie führt auch dazu, dass viele Verrohung erst erkannt werden. Auch deshalb gibt es eine gefühlt höhere Verrohung: heute gilt vieles als Verrohung, was früher als normal empfunden worden wäre. Neben denen die Krawall schlagen, gibt es auch Menschen die engagiert dagegenreden. Auch die Sensibilität hat zugenommen, stellt die Forscherin fest. So warnt sie ihre Studenten vor den Vorlesungen über die Inhalte.