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Freitag, 27. September 2024

Wie Corona die Debattenkultur der Deutschen verändert hat

Die Spaltung der Gesellschaft wird von vielen Seiten beklagt: In der Süddeutschen Zeitung fragt Rainer Stadler, ob dies eine Spätfolge der Corona-Pandemie ist.

Armin Laschet arbeitet an einem Buch über die Streitkultur. Er kritisiert, dass bei vielen Themen nicht diskutiert, sondern sofort die moralische Keule hervorgeholt wird. Er nimmt sogar Sahra Wagenknecht in Schutz, deren Ansicht er zwar nicht teil, deren Recht ihre Meinung kundzutun er aber verteidigt.

Je weiter die Pandemie zurückliegt, umso klarer werden die Spuren

Laschets Befund ist nicht neu. Corona hat Spuren hinterlassen, dass wir immer klarer. In der Vergangenheit zeigte sich bei schweren Krisen, dass die Menschen zusammenrücken. Auch in der Corona-Krise war das Vertrauen in Politik, Polizei und Medien zunächst groß. Doch schnell verpuffte dieser Effekt, die Zustimmung war schnell geringer als vor der Krise. Die Menschen waren von der permanenten Krisenberichterstattung überfordert, der Frust über die Regeln stieg, da die Fallzahlen weiter stiegen.

Vertrauen hat weiter abgenommen

Das Vertrauen hat weiter abgenommen, besonders bei jüngeren Menschen in Ostdeutschland. Studienleiterin Zoch vermutet, dass dies auf die besondere Betroffenheit bei Kita- und Schulschließung zurückzuführen ist. Eine weitere Rolle könnte spielen, dass diese Generation in der Jugend erlebt hat, wie ein übermächtiger Staat ihre Eltern erdrückte. Womöglich hätten einige befürchtet, dass ihnen in der Pandemie ein ähnliches Schicksal drohte.

Psychologen hatten früh vor Schäden bei Kindern gewarnt

Psychologen hatten gewarnt. Laschet war während der Pandemie Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und berichtet über die heftigen Debatten und die Vorwürfe des „Team Vorsicht“. Es ging auch darum, welchen der Virologen man mehr vertraute. Ähnlich kritisch sah er die pauschale Abwertung der Corona-Demos, durch Politik und Medien – als Sammelbecken rechter Schwurbler, da dadurch auch berechtigte Anliegen von Teilnehmern diskreditiert worden.

Konträre Meinungen erlaubt, aber nicht erwünscht

Eine weitere Kritik von Laschet und Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung“ ist die Stigmatisierung von ungeimpften. Zwar sind tatsächlich viele Ungeimpfte in Intensivstationen gelegen, dennoch haben auch sie Grundrechte. Wer dies öffentlich forderte, bekam schnell Probleme. Was der Philosophin in der Talkrunde widerfuhr, war ein Signal an andere, die Corona-Maßnahmen kritisch sahen: Konträre Meinungen sind vielleicht erlaubt, erwünscht sind sie nicht. Diese Erfahrung nachten viele, nach Umfragen haben 2/3 der Menschen Kontakte eingebüßt – nicht zuletzt wegen Meinungsverschiedenheiten zur Corona-Politik.

Wunden werden nicht heilen

Ein Forscherteam ist skeptisch, ob die Wunden heilen. Ungeimpfte neigen noch immer dazu die Gefahren zu unterschätzen. Manchen haben den Wunsch „Politik und Wissenschaft für ihr Handeln in der Pandemie zu bestrafen und die politische Ordnung zu zerschlagen“. Geimpfte überschätzten im Nachhinein die Gefahr durch das Virus. Sie sind damit auch weniger bereit zu einer kritischen Auseinandersetzung darüber, wo die Pandemiepolitik eventuell doch aus dem Ruder lief.

Vergangenheitsbewältigung und Lehren für die Zukunft

Umso wichtiger wäre eine unabhängige Aufarbeitung der Corona-Politik. Es geht um Vergangenheitsbewältigung, aber auch um Lehren für die Zukunft. Man habe zu sehr auf kurzfriste Effekte gesetzt, wichtig sei auch langfristige Folgen für den sozialen Zusammenhalt“ zu berücksichtigen.
Auch das Vertrauen in die mediale Öffentlichkeit ging verloren, Die Philosophin Flaßpöhler hofft auf ein neues Bewusstsein, „wie wir heute Debatten führen“. Menschen würden ausgeschlossen, Meinungen schon im Voraus mit dem Etikett „unvernünftig“ versehen und aussortiert. „Das ist einer Demokratie nicht gemäß, so funktioniert der offene Diskurs nicht.“