Über diesen Blog

Mittwoch, 4. Dezember 2024

Die „nüchterne alte Tante“ Soziologie ist wieder gefragt

Alexander Cammann rezensiert in der ZEIT das neue Buch von Andreas Reckwitz. Dabei geht er auch auf die Bedeutung der Soziologie ein, die so gefragt ist, wie lange nicht.

Soziologen waren lange nicht gefragt

Wenn es um die Erklärung des Mauerfalls von 1989 oder den 11. September ging, waren lange Zeit Historiker oder Philosophen gefragt. Für manche galten die Lifesciences als neue Leitwissenschaft, schließlich hatten die das menschliche Genom sequenziert. Nun ist sie wieder zurück „die nüchterne alte Tante“ Soziologie.

Kommentare zur jeweiligen Gegenwart

Nun sind sie zurück: Jutta Allmendinger und Heinz Bode haben jahrelang die Öffentlichkeitsarbeit übernommen. Nun sind andere Soziolog*innen in aller Munde: Steffen Mau aus Berlin, Hartmut Rosa aus Jena, Paula-Irene Villa Braslavsky und Armin Nassehi aus München, Oliver Nachtwey aus Basel, Jens Beckert aus Köln, dazu häufig noch Eva Illouz. Sogar Olaf Scholz soll ihnen manchmal zuhören, wenn sie „virtuos eine der vornehmsten Aufgabe der Soziologie übernehmen – die Zeitdiagnostik.

Wegweisendes Werk „Die Gesellschaft der Singularitäten“

Bereits 2017 hat Andreas Reckwitz ein preisgekröntes Buch vorgelegt: Die Gesellschaft der Singularitäten. Die damaligen Diagnosen passen verblüffend gut,
ob es um Neogemeinschaften geht, die alte Organisationsformen ablösten (man denke an BSW und AfD), ob um die kulturellen Spaltungen der westlichen Gesellschaft, jenseits der alten Klassenkonflikte, die sich bei Wahlen niederschlagen. Ebenso passend ist die Beschreibung, dass anstelle allgemeiner anerkannter Normen und Zugehörigkeit viele „Singularitäten getreten sind.

Überall Modernisierungsverlierer

In seinem neuen Buch beschreibt Reckwitz die Verluste der Moderne: Klimakatastrophe, Artensterben, Modernisierungsverlierer – und der Populismus, der als „Verlustunternehmer“ davon.
Der Fortschrittimperativ westlicher Gesellschaften brachte stetige Verbesserungen. Sie konnten auch frühere Verluste immer wieder ausgleichen.

Progressive werden strukturkonservativ

Reckwitz beschreibt verschiedene Bereiche in der Spannung zwischen Fortschritt und Verlust und beschreibt eine interessante Änderung in der Politik. Progressive werden „strukturell konservativ“: die Linken in der Verteidigung des Sozialstaats, die Linksliberalen bei den vom Rechtspopulismus bedrohten Freiheitsrechten. "Nirgendwo ist die Fortschrittsorientierung noch ungebrochen" – und konservativ ist mal wieder komplizierter als gedacht.

Neues Thema in meinem Seminarangebot

In meinem Seminarangeboten zur Gesellschaft habe ich das Thema „Soziologen sind wieder gefragt“ aufgenommen. Dabei werde ich die Bedeutung und Werke von Andreas Reckwitz und anderer Soziologen vorstellen.