Martin Spiewak analysiert in der ZEIT die Forderung der neuen Bildungsministerin Karin Prien nach einer Obergrenze für Schüler mit Migrationshintergrund. Er fordert stattdessen gezielte Maßnahmen, um Schulen gezielt zu unterstützen.
Heftige Diskussionen nach Priens umstrittenem Vorschlag
Bundesbildungsministerin Karin Rien hat in Interviews über eine Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund nachgedacht. Wie sie selber sagte, steht diese Begrenzung weder im Koalitionsvertrag, noch ist sie zuständig. Auch der Begriff „Quote“ ist fragwürdig, denn es soll ja nicht wie z.B. bei der Frauenquote ein bestimmtes Ziel erreicht werden, sondern begrenzt werden. Dennoch entwickelte sich eine heftige Diskussion: Sorgen Kinder mit Migrationshintergrund für sinkende Lernniveaus. Profitieren sie vielleicht sogar von diesen Ideen?
Der Autor stellt Erkenntnisse aus der Wissenschaft vor:
1. Sind Einwandererkinder für die schlechten Leistungen verantwortlich?
Tatsächlich zeigen Schulvergleiche, dass Schüler mit Einwanderungsgeschichte schlechtere Leistungen erbringen, in Deutschland fallen diese Unterschiede sogar besonders groß aus. Bei genauerem Blick zeigt sich jedoch, dass die widrigen Umstände viel entscheidender sind. Studien zeigen, dass Kinder aus armen und bildungsfernen Familien schlechtere Leistungen zeigen, egal ob sie eingewandert sind oder nicht – ein "Hartz-IV-Deckel" wird jedoch bislang nicht gefordert.
2. Gibt es einen Anteil an zugewanderten Schülern, ab dem das Lernen nicht mehr funktioniert?
Studien zeigen, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Lernerfolgen und dem Anteil an Migranten gibt: Ein Schüler hat in einer Klasse mit 15 Prozent Anteil Zugewanderter größere Chancen, Fortschritte zu machen, als in einer mit 30 Prozent. Allerdings gibt es keinen Kipppunkt, ab dem negative Effekt besonders ausgeprägt sind.
3. Ist Dänemark ein Vorbild? Oder die USA?
Dänemark wird als Vorbild genannt, allerdings gibt es dort keine Obergrenzen für Schulklassen. Stattdessen will man Stadtteile mit vielen Migranten aus „nicht-westlichen“ Herkunftsstaaten per Dekret verändern. Die Kinder dieser Viertel müssen verpflichtend eine Kita besuchen und Sprachtests absolvieren.
Das bekannteste Beispiel war die USA, die die Rassentrennung durch „Busing“ verändern wollte. Schüler aus armen schwarzen Vierteln wurden mit wohlhabenden weißen Vierteln gemischt. Auch die frühere Vizepräsidentin Kamala Haris hat davon nach eigenen Angaben davon profitiert. Es gab heftigen Widerstand und Ausschreitungen, zum Teil flohen weiße Eltern aus den Schulbezirken. Studien zeigen, dass sich in den gemischten Klassen die Leistungen der schwarzen Schüler verbesserten, ohne dass die weißen Schüler weniger lernten.
4. Ließe sich ein "Migrantendeckel" in Deutschland umsetzen?
In West-Berlin wurden solche Maßnahmen erprobt, allerdings scheiterte das Proberamm, weil Fahrkosten nicht übernommen wurden, vor allem aber, weil ein umgekehrter Transfer von Schülern ohne Migrationshintergrund auf große politische Widerstände stieß. Der Autor vermutet, dass auch heute die überwiegend nichtmigrantischen Akademikereltern ein Hindernis für die Durchsetzung der Obergrenze. „Sie mögen sich für weltoffen halten, sind aber die wahren Treiber der Segregation“.
Als in Nordrhein-Westfalen die Pflicht aufgehoben wurde, sein Kind auf eine Schule im Umkreis zu schicken, mied die bildungsbewusste deutsche Mittelschicht fortan die Schulen vor der eigenen Haustür, sofern dort Kinder aus armen und bildungsfernen Familien lernten. Auch in sozial durchmischten Stadtvierteln sind die Schulen segregiert, verantwortlich dafür sind die Eltern."
Eine Obergrenze bei 30 oder 40 Prozent ist zudem schon aus demografischen Gründen unrealistisch: Der Anteil an Kindern mit Migrationsgeschichte unter den 0- bis 15-Jährigen lag in Deutschland im vergangenen Jahr bereits bei 42,5 Prozent. Man müsste Kinder aus Bremen also nach Bautzen schicken.
5. Was könnte helfen?
Solange es segregierte Stadtteile gibt, wird es segregierte Schulen geben. Deshalb müssten Schüler, die es herkunftsbedingt schwerer haben, stärker unterstützen: mehr Lehrkräfte, Nachhilfe, gezielte Arbeit in den Familien. Hamburg macht es vor: sogenannte Brennpunktschulen werden direkt gefördert. Ein ähnliches Programm soll für die Kitas kommen. In der frühen Bildung sehen so gut wie alle Experten das größte Potenzial. Bisher funktionieren die Maßnahmen. Selbst nach mehreren Jahren in der Kita haben viele Einwandererkinder nicht genug Deutsch gelernt, um bei der Einschulung dem Unterricht gut folgen zu können.
Der Autor fordert: „Eine gezielte Privilegierung von unterprivilegierten Schulen und Kitas – mehr Fachkräfte, attraktivere Gebäude, bessere Förderprogramme – könnte sogar für alle Eltern interessant sein. Und am Ende die Debatte über Deckel, Obergrenzen oder Quoten überflüssig machen.“