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Donnerstag, 8. Dezember 2022

Sind wir Heuchler?

Jan Stremmel schreibt in einem Essay für die Süddeutsche Zeitung über die Empörung über die Nationalmannschaft, die in Katar keine Haltung zeigen und Klimaaktivisten, die wirklich Haltung zeigen. Sein Urteil „Wir Heuchler - Warum Zivilcourage nur dann vorliegt, wenn Menschen Risiken in Kauf nehmen.

Sie sind halt nicht mal eine gelbe Karte wert

Stremmel kritisiert das Verhalten der Nationalmannschaft, die zunächst als Zeichen des Protests gegen die Zustände in Katar eine Binde tragen wollte, die einen Regenbogen andeuten soll. Aus Angst vor einer Verwarnung blies die Mannschaft die Aktion ab und hielt sich lieber den Mund zu.

Gefängnis für Klimaaktivisten  

Genauso groß ist die öffentliche Empörung über Klimaaktivisten, die sich auf den Asphalt geklebt haben und in Bayern präventiv ins Gefängnis gesteckt wurde. Sie haben ihre Werte auch gegen Widerstände vertreten und zwar Werte, die uns alle angehen. Obwohl der tatsächliche Schaden – Verspätungen und beschmierte Schutzscheiben vor Gemälden – gering ist, reagiert die Mehrheit der Bevölkerung mit Herablassung.

Sind wir nicht ähnlich verzagt wie die unglücklichen Fußballer in Katar?

Der Autor kritisiert, dass über Kartoffelbrei statt über den Klimawandel diskutieren und fragt: “Sind wir damit nicht ganz ähnlich verzagte und kleinliche Sorgendeutsche wie die unglücklichen Fußballer in der Wüste?“ In dieser Verzagtheit ragen Menschen heraus, die Risiken in Kauf nehmen.

Ziviler Ungehorsam half bei der Aufhebung von Missständen

Stremmel zählte eine Reihe von Missständen auf, die durch zivilen Ungehorsam beendet wurden: Die Rassentrennung in den USA, das Frauenwahlrecht in Großbritannien, die britische Kolonialherrschaft in Indien, die Apartheid in Südafrika. Das Prinzip lautet: friedlicher Protest, wo alle legalen Mittel ausgeschöpft sind, und in Akzeptanz der Strafe, die das Rechtssystem dafür vorsieht. Auch diese Gruppen zeigten zivilen Ungehorsam. Beim Kampf um das Frauenwahlrecht wurden 1913 allein in London 347 Sabotageakte verübt.

Der Protest zeigt Wirkung

Die Aktionen zeigen wirken. Hatte die FDP den Aktivistinnen von Friday for Future noch empfohlen, den Klimaschutz Profis zu überlassen, kritisiert sie nun, dass „Die letzte Generation“ die Errungenschaften gefährden: Der radikale Arm der Bewegung, der immer mehr nervt, macht das große Anliegen gerade Schritt für Schritt mehrheitsfähig. Besser kann es nicht laufen. Für einen Wandel sind nur wenige Menschen notwendig, Protestforscher gehen von 3,5 % der Bevölkerung aus.


Freitag, 18. November 2022

Wo Armut beginnt

In einem Essay schreibt Mareice Kaiser in der Süddeutschen Zeitung über Armut und die Angst der Mittelschicht vor dem Abstieg. Die interessante These: Die Mittelschicht vor dem Abstieg zu bewahren, ist eines der wichtigsten Ziele der Regierung. Doch diese Politik verfestigt die soziale Ungleichheit. Daran wird auch das Bürgergeld nichts ändern.

Viele wollen zur Mittelschicht gehören

73 Prozent der Deutschen zählen sich selbst zur Mittelschicht, deutlich mehr als dies die Statistiken hergibt: „Alle wollen dabei sein, prekär lebende Menschen ebenso wie der Privatflugzeugbesitzer Friedrich Merz.“ Dies kann problematisch sein, denn wenn sich Menschen ihrer prekären Stellung nicht bewusst sind, fehlt auch ein Verständnis für strukturelle Ungleichheit

Eine Politik für die Mitte akzeptiert den größeren Abstand

Angesichts dieser Zahlen ist es nachvollziehbar, dass sich fast alle Parteien für die Mitte einsetzen wollen. Dies kann aber kontraproduktiv sein: Eine Politik, die sich auf die Mitte fokussiert, akzeptiert den immer größer werdenden Abstand zwischen unten und oben. Sie vergisst die 16 Prozent der Deutschen, die von Armut betroffen sind.
Ein Beispiel ist das 49 Euro-Ticket – für arme Menschen ist der Unterschied zum Neun-Euro-Ticket immens und in vielen Fällen nicht leistbar

Menschen helfen, die von Armut betroffen sind

Die Autorin fordert deshalb, nicht die Mittelschicht zu entlasten, sondern Menschen, die von Armut betroffen sind. Sie lobt Menschen wie Anni W. Die alleinerziehende Mutter und Twitter-Nutzerin hat den Hashtag #IchBinArmutsbetroffen gestartet. Er bringt Menschen in die Öffentlichkeit, die bisher von Medien und Politik vergessen wurden.
Die Schlussfolgerung: Es gibt mehrere Arten von Mitte – und es liegt an Politik und Gesellschaft, daran zu arbeiten, dass so wenig Menschen wie möglich an den Rändern verloren gehen. Wer eine stabile ökonomische Mitte will, muss Armut bekämpfen. Wer Armut bekämpfen will, muss deutlich mehr von den Reichen verlangen. Denn sie haben genug.

Mittwoch, 9. November 2022

Wie weit darf ziviler Ungehorsam gehen?

Bernd Ulrich fragt angesichts der umstrittenen Aktivitäten der „Letzten Generation“ in der ZEIT, wie weit ziviler Ungehorsam gehen darf.

Debatte um zivilen Ungehorsam

Er beschreibt zwei Formen der Radikalisierung – die der Klimakrise und die der Klimabewegung, die einhergehen mit einer Debatte über zivilen Ungehorsam. Diese Debatte geht lange zurück. Jürgen Habermas hat mit ihn bereits 1983 als Testfall für die Demokratie bezeichnet.
Er kritisiert beide Seiten der aktuellen Debatte. Einerseits schießt die Kritik an den Aktivitäten übers Ziel hinaus, wenn Bezüge zum RAF-Terrorismus hergestellt werden. Andererseits kritisiert er die Argumentation der Aktivisten die die Beschädigung von Kunstwerken ins Verhältnis zur Zerstörung der Welt setzen: Niemand darf sich selbst einen Blankoscheck geben.

Regeln für zivilen Ungehorsam

John Rawls hat Regeln formuliert: Ziviler Ungehorsam darf nicht versuchen, sich der Strafe zu entziehen. Die Bereitschaft sich zu stellen verweist auf den Respekt vor dem Rechtsstaat. Außerdem darf Ungehorsam immer nur symbolisch sein, der Wille. Der Autor nennt dies „Die Verbeugung des Menschheitsproblem vor der Mehrheitsregel“.

Das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Urteil vom 29. April verbietet eine Politik, jungen Menschen durch eine mangelhafte Klimapolitik die Freiheitsrechte zu nehmen. Gleichwohl kann z.B. der Verkehrsminister nicht verhaftet werden, obwohl er offensichtlich gegen diesen Geist verstößt
Nicht nur aufgrund dieses Urteils sollte die Politik die Klimakrise und den dramatischen Zeitdruck ernster nehmen. Der Autor hält es deshalb für falsch, die ungehorsamen jungen Menschen als kriminell zu bezeichnen, "sonst könnten sie einen selbst im Gegenzug womöglich ebenfalls als Verfassungsbrecher bezeichnen. Wer wen dabei mit mehr Recht kriminalisiert, das lassen wir hier mal lieber: in der Schwebe." 

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Not macht solidarischer, als viele denken

Ulrich Schnabel berichtet in der ZEIT über Ergebnisse der Krisenforschung, die Mut machen. Not macht solidarischer, als viele denken.

Unterschiede bei der Fremd- und Selbsteinschätzung

Untersuchungen und auch Notfälle wie Flugzeug-Notlandungen zeigen: Die Menschen sind viel hilfsbereiter und rücksichtsvoller, als man denkt. „Wir leben auf einem altruistischen Planeten“ wird ein Forscher zitiert. Dies liegt auch an einem deutlichen Unterschied zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung. Während viele Menschen behaupten, dass sich ihre Mitmenschen wenig um andere Menschen kümmern, sagen 80 %, dass ihnen ein Wir-Gefühl sehr wichtig ist. Auch bei den die aktuellen Preissteigerungen sagen die meisten, dass sie gut mit dem Geld auskommen, während ihnen die Preissteigerungen Sorgen machen.

Die Medien stürzen sich mit Vorliebe auf negative Beispiele

Ein Mensch ist ein vielschichtiges Wesen, das Anlagen zum Eigennutz und Gemeinsinn besitz und sich je nach Situation unterschiedlich verhält. Medien verweisen vor allem auf negative Beispiele und ignorieren, dass sich Menschen in Notsituationen oft solidarisch verhalten. Selbst nach den Terroranschlägen vom 11. September ist es nicht zu einer Massenpanik gekommen, Tausende boten sich als Helfer an. Berichte über angebliche Plünderungen nach dem Hurrikan Katrina stellten sich als falsch heraus.

Keine unnötigen Warnungen vor heißem Herbst

Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise warnen Forscher vor Panikmache. Menschen orientieren sich in unsicheren Situationen am angenommenen Mehrheitsverhalten – wer meint, vor lauter Egoisten umgeben zu sein, wird selber mehr auf den eigenen Vorteil achten. Wichtig ist dabei das Bild, das die Medien vermitteln.

Die Mehrheit will ein Land des Wirs

Die Krise wird ein Stresstest unseres demokratischen Systems, aber es gibt ein großes Potenzial für mehr Gemeinsinn, das entsprechend aktiviert werden müsste sie nach der Überschwemmung im Ahrtal. „Dabei geht es nicht allein ums Geld. Es geht auch darum, sichtbar zu machen, dass die unbestrittene Mehrheit immer noch gern in einem "Land des Wir" leben möchte."

Donnerstag, 22. September 2022

Zeitenwende: Eine Zukunft ohne Fortschritt?

Andreas Reckwitz ist einer der angesehensten Soziologen Deutschlands. Im SPIEGEL schreibt er über die Zeitenwende. Angesichts vielfacher Verluste fordert er ein revidiertes, skeptischeres Fortschrittsverständnis.
 

Gewissheiten gehen verloren

Der Begriff Zeitenwende hört sich zwar nach Neuanfang und Hoffnung an, ruft aber eher die Besorgnis hervor, dass es schlechter werden könnte. Westliche Gesellschaften erleben schon jetzt einen Verlust an Sicherheit und Wohlstand. Kritik am Fortschrittsbegriff gibt es nicht nur bei Donald Trump und anderen Populisten: Zweifel an den Zukunftsversprechen gibt es durch die ökologische Zerstörung und Entfremdung.

Ende der Erfolgsgeschichte Deutschland

Lange galt Deutschland als einzige Erfolgsgeschichte: Wirtschaftswunder, Wiederaufbau, Fall der Mauer, Profiteur der Globalisierung – Deutschland ein einziges Sommermärchen? Diese Geschichte war schon immer einseitig, besonders in Ostdeutschland haben viele Menschen Verlust- und Negativerfahrungen gemacht.

Vielfältige Verlusterfahrungen  

In den letzten Jahren Menschen wurden mit den Gefahren des sozialen Abstiegs konfrontiert. Arbeitsplätze in der Industriearbeiterschaft gingen verloren, eine neue Dienstleistungsklasse mit geringem sozialen Status ist entstanden. Ein weiterer Rückschlag für den Fortschrittimperativ ist der Klimawandel, der mit seinen Folgen die Debatte um Verzicht und Wachstumskritik hervorgebracht hat. Der dritte Komplex von Verlust betrifft die politische Regression. Aktuelles Beispiel ist die russische Invasion in der Ukraine, die die europäische Friedensordnung zerstört. Der Glaube, dass die liberale Demokratie und Globalisierung alternativlos ist, ist verlorengegangen. Es zeichnet sich vielmehr eine Konfrontationslinie zwischen dem Westen und autoritären Systemen wie China und Russland ab

Phänomene des Verlusts

Sozialer Abstieg und Statusverlust, Verzicht auf gewohnte Lebensoptionen, politische Regression führen somit zu Phänomenen des Verlusts. Diese Verluste wirken auf Menschen bedrohlich und wirken anders als Gewinne dramatischer. Verloren geht auch ein Teil der Identität, der sich nicht nur in einem niedrigeren Lebensstandard bedeutet, sondern auch das Selbstverständnis, dass man durch eigene Arbeit und Leistung Wohlstand schaffen kann.
Der dritte Aspekt des Verlusts ist, dass auch der Glaube an den Fortschritt selbst verloren geht, viele Menschen haben negative Zukunftserwartungen.

Die Zeit grenzenlosem Konsums ohne Verzicht ist vorbei

Der Glaube an Globalisierung, Internationale Kooperation und Multilateralismus prägten die Zeit zwischen 19990 und 2020. Alternative Strategien sind langfristige Zukunftsperspektiven durch kurzfristiges Krisenmanagement zu ersetzen, ein Zurück in die Vergangenheit wie die Populisten fordern oder die Strategie der Resilienz. Das Credo: Wenn der soziale Aufstieg nicht mehr realistisch ist, sollte es zumindest eine gesicherte Grundversorgung geben
 

Ein skeptischeres Fortschrittsverständnis entwickeln

Autor*innen wie Maja Göpel und Harald Welzer sehen in der Krise als Chance, sie sehen die bisherige Entwicklung eher als Überfluss. Reckwitz möchte die Forderung nach einem „anderen Fortschritt“ mit der Strategie der Resilienz verbinden. Wir müssen mit der Realität der Verluste umgehen. Denn die Verluste sind real: Wenn der Glaube an den immerwährenden Aufstieg, den immer größer werdenden Überfluss oder die friedliche Weltgesellschaft nicht mehr realistisch erscheint, verursacht dies einen Schmerz, der politisch ernst genommen werden muss. Phasen des Fortschritts werden durch Prozesse der Stagnation unterbrochen. Eine Herausforderung der Zeitenwende wird sein, ein skeptischeres Fortschrittsverständnis zu entwickeln und Verluste nicht zu verdrängen.

Freitag, 26. August 2022

Sind die Bürger nicht besorgt, sondern bescheuert?

Zwei Kommentare beschäftigen sich mit der aktuellen Debatte über mögliche Demonstrationen gegen die Regierung. Beide gehen mit der Regierung hart ins Gericht und verteidigen das Recht auf Demonstration, kritisieren aber auch einige Akteure, die zum Aufstand aufrufen.

Dreist, anmaßend, geschichtsvergessen

Markus Feldenkirchen kritisiert in seinem Kommentar den Missbrauch der Bezeichnung Montagsdemonstration. Dieser Begriff steht sinnbildlich für den Herbst 1989 für Zivilcourage und den Wunsch nach Freiheit. Mit Protesten gegen Hartz IV, Flüchtlinge und Corona sind Linke und Rechte diesen Weg gegangen. Besonders verwerfliche waren die Corona-Proteste, als sich Demonstranten mit einem gelben Stern in eine Linie mit verfolgten Juden stellten oder die berühmte Hanna aus Kassel, die sich als Sophie Scholl bezeichnete. „Wer solche Analogien bemüht, hat mindestens einen an der Waffel. Er oder sie diskreditiert das Anliegen schon durch die Form des Protests.“

Die Bürger sind nicht besorgt, sondern bescheuert

Nikolaus Blome verweist in seinem Kommentar auf die wiederkehrenden Proteste: Zum dritten Mal in sieben Jahren stellt sich die Frage, wie man diese Menschen erreicht, die alle menschliche Mäßigung fahren lassen. Flüchtlinge, Corona und nun Inflation oder »Wutwinter«: Es mehren sich die Hinweise, dass es stets dieselben sind, die da am lautesten krakeelen, nicht nur im Osten des Landes
Auch er kritisiert Entscheidungen und die Kommunikation der Bundesregierung. „Aber das rechtfertigt nicht alles. Nicht die infame Umkehr von Ursache und Wirkung, von Täter und Opfer, von Putin und Selenskyj. Und auch nicht die Mär von der deutschen »Mehrheitsdiktatur« oder der Fernsteuerung aus Washington. Das ist so durchschaubar wie degoutant, schämt euch!"

Donnerstag, 18. August 2022

Diese jungen Leute müssen exakt gar nichts

Cornelius Pollmer hält in der Süddeutschem Zeitung ein leidenschaftliches Plädoyer gegen übertriebene Forderungen an jungen Menschen: Mehr arbeiten, weniger fliegen, sozialer sein: Ständig sollen junge Menschen irgendwas besser machen. Das ist anmaßend - und es kehrt die Verhältnisse grotesk um.

Fragwürdige Forderungen an die Jugend

Er schildert dabei einige Forderungen der jüngeren Zeit:
- Dienstpflicht: Bundespräsident Steinmeier und andere fordern eine allgemeine Dienstpflicht, da unsere Gesellschaft Menschen brauche, die sich für das Land einsetzen
- Länger arbeiten: Der Chef des Europaparks kritisierte, dass junge Menschen nur noch Freizeit wollen.
- Schuld an der Klimakatastrophe: In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen wirft ein Autor den heute Dreißigjährigen die Verantwortung der Klimakatastrophe zugeschoben wird.

Anmaßende Ratschläge

Alle drei haben durchaus Argumente auf ihrer Seite, was diese Ratschläge aber so ärgerlich macht und was sie gemein haben, ist die wahnhafte Anmaßung, sich in der Position zu befinden, den jüngeren Teil der Gesellschaft belehren zu dürfen.
Das klingt sehr nach „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst“-Logik. Diese Logik ist ohnehin fragwürdig. Die heutige Generation wird den Wohlstand früherer Generationen nicht erreichen und muss zudem Probleme wie den Klimawandel ausbaden. Es gibt keinen Grund für die jüngere Generation in Vorleistung zu gehen.

Es wird keine Leistungsgerechtigkeit geben

Die Aussicht für Junge Menschen ist nicht gut: Das Rentensystem ist kaputt, die Hoffnung auf Aufstieg gering. Erbschaften sind ungleich verteilt und werden nicht diese werden kaum besteuert: Es wird keine Leistungsgerechtigkeit geben in diesem Land, solange der Staat echte Arbeit oft deutlich stärker belastet als Geld, das weiteres Geld verdient. Der Autor hat deswegen Verständnis, dass die sich die Jungen nicht erst mal reinhauen, sondern eher denken „Ich kann gerade nicht, aber ihr könnt mich mal.“

Mittwoch, 6. Juli 2022

Die neue deutsche Hilfsbereitschaft – und warum sie so glücklich macht

Es ist ein Artikel im SPIEGEL, der Mut macht: „Die neue deutsche Hilfsbereitschaft – und warum sie so glücklich macht.“
Es werden einige Menschen portraitiert, die in ihrer Freizeit für andere Gutes tun: als Helfer Geflüchtete, für die Flutopfer im Ahrtal, als Aids-Pastor und als Sterbebegleiterin.

Viele Ehrenamtliche, viele Spenden

Sie gehören zu den rund 16,2 Millionen Menschen, die sich ehrenamtlich:  in Hilfsorganisationen, kirchlichen Einrichtungen oder Sportvereinen. Die Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen. Auch die Spendenbereitschaft hat zu genommen – rund 5,8 Mrd. Euro gab es allein im letzten Jahr an privaten Spendenaufkommen.

Helfen macht glücklich

Der Autoren verweisen auf unterschiedliche Gründe: Wer hilft, weil es alle machen oder sein Umfeld es von ihm verlangt, handelt aus Prinzipalismus. Manche helfen, weil sie erwarten, dass sie dann auch Hilfe erhalten werden, wenn sie sich selbst in einer Notlage befinden.
Und ja, auch Egoismus zählt zu den Triebfedern der Hilfsbereitschaft: Menschen tun Gutes, um den »warm glow« zu spüren, das Gefühl des Belohntwerdens. Die gute Tat wirkt, als würde man Schokolade essen – die Helfer fühlen sich gut.

Freitag, 24. Juni 2022

Was Kinder an Brennpunktschulen wirklich brauchen

Es geht nicht nur ums Geld – in einem Artikel im SPIEGEL beschreiben Miriam Olbrisch und Susmita Arp den Weg einer Hamburger Grundschule, die mit einem klaren Konzept Erfolge erzielen konnten – und nun teilweise Opfer ihres eigenen Erfolgs werden.

Was brauchen Brennpunktschulen

Geld allein reicht nicht, denn oft wird Geld in Maßnahmen investiert, deren Erfolg niemand kontrolliert. Vieles wurde erforscht, kam aber bisher nicht an den Schulen an. Hamburg hat es an einigen Schulen anders bemacht – hier haben Schulen dank wissenschaftlicher Unterstützung die Trendwende geschafft.
 

Das Erfolgsrezept:  

Lesen als Basis allen Lernens

Jeden Morgen ist Lesezeit – leise, laut, zu zweit. Wer gut lesen kann, profitiert auch in anderen Schulfächern

Ordnung und Struktur

Dies gilt für alle Lehrkräfte: Jeder wendet die Regeln gleich an – das vermittelt den Schüler*innen Orientierung

Die Lehrkraft als Dienstleister

Um zu gewährleisten, dass alle mitziehen, stehen während des Unterrichts alle Klassentüren offen, damit Kollegen jederzeit hereinkommen und zuschauen können

Der Erfolg hat seinen Preis

Durch die Erfolge wurde die Schule auch für andere attraktiv. In der Rangliste ist die Schule aufgestiegen – und musste Streichungen bei Sprachförderung und Sonderpädagoginnen hinnehmen. Dennoch ist es ein gutes Beispiel, dass es funktionieren kann.

Montag, 30. Mai 2022

Die Polizei versagt bei der Verfolgung von Hassnachrichten

Jan Böhmermann und sein Team haben mal wieder einen Skandal aufgedeckt. In der Ausgabe vom 27. Mai zeigen das ZDF Magazine Royale  auf, wie Anzeigen gegen Hassbotschaften im Netz in einigen Bundesländern erst gar nicht angenommen wurden.

Uneinheitliche Strafverfolgung

Das Team von Böhmermann zeigte Hassbotschaften und Hakenkreuze, die im Netz gepostet wurden, in den 16 verschiedenen Bundesländern bei Polizeidienststellen an.
Die Reaktionen waren ernüchternd: In einigen Bundesländern wurde die Anzeige erst gar nicht angenommen, in anderen monatelang nicht bearbeitet. Auf einer eigenen Seite Tatütata.fail wird das Experiment dokumentiert  

Hass im Internet

Das Experiment zeigt deutlich die Defizite bei der Verfolgung von Hassnachrichten – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz. Immerhin wurden die Behörden jetzt aktiv: gegen einige Polizisten wird wegen Strafvereitlung im Amt ermittelt. Aber es gab auch positive Beispiele – in Hessen war nach 11 Minuten alles erledigt und auch die Baden-Württembergische Polizei findet die Täter.

Die Sendung auf Youtube

Die Sendung können Sie auch über Youtube aufrufen: .

Dienstag, 12. April 2022

Facebook muss mehr löschen

Die TAZ berichtet über ein Gerichtsurteil gegen Facebook. Das Unternehmen muss rechtswidrige Inhalte aktiv suchen und löschen. Klägerin Renate Künast spricht von einem Grundsatzurteil.

Bedeutendes Urteil für Renate Künast

Renate Künast musste sich in der Vergangenheit viele Beleidigungen gefallen lassen. Ein Urteil des Landgericht Berlin hatte 2019 für Aufsehen gesorgt, als es eine Reihe übler Beleidigungen als noch zulässige Meinungsäußerungen gewertet hat. Dieses Urteil hat das Bundesverfassungsgericht kassiert.

Facebook muss aktiv suchen und löschen

Das Urteil des Frankfurter Landgerichts stellt nun einen Paradigmenwechsel dar. Endlich können Sich Betroffene effektiv gegen digitale Verleumdungen wehren. Im konkreten Fall muss das Unternehmen ein Bild mit Falschmeldungen nicht nur bei Beschwerden löschen, sondern aktiv suchen und entfernen.

Immer mehr Betroffene wehren sich

Besonders betroffen von Hasskommentaren im Netz sind nach Angaben von Hate-Aid Politiker*innen, Journalist*innen. Einige wie zuletzt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer wehren sich nun erfolgreich gegen Privatperson. Zurecht wie ich meine, denn das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.

Samstag, 26. Februar 2022

Unsere Gesellschaft in der Corona-Krise

In meinem Blog zur Corona-Krise geht es in drei Beiträgen über den Zustand unserer Gesellschaft

Sind wir so gespalten?

In einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung geht es um das verbreitete Gefühl, dass die Gesellschaft immer gespaltener wird. Dieses Gefühl war aber bereits vor der Corona-Krise vorhanden und betrifft meistens die Beurteilung anderer. Nur die anderen halten sich nicht an die Regeln, das eigene Umfeld ist meistens intakt. Umso wichtiger: Im Gespräch bleiben und versuchen, Differenzen zu überbrücken.

Ein bisschen mehr Eigenverantwortung

In einem Kommentar im SPIEGEL fordert Nike Laurenz „ein bisschen mehr Eigenverantwortung“. Trotz chaotischer Regeln verhalten sich die meisten Menschen rücksichtsvoll. Statt immer neue Vorschriften zu erlassen, sollte der Staat einen pragmatischen Umgang, z.B. einen kurzen Spaziergang trotz Quarantäne ermöglichen.

Zurück zu überkommenden Rollenmustern?

In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung geht es um die Sorgen von Familien, die sich seit zwei Jahren besonders massiv von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen sind. Da sich häufig Frauen um die zusätzliche Betreuung von Kindern kümmern, sieht Alexander Hagelüken einen Rückfall in überkommende Rollenmuster. Er sieht auch den Staat gefordert, durch verbesserten Digitalunterricht, Kinderbetreuung und das Ende des Ehegattensplittings.

Freitag, 28. Januar 2022

Impfpflicht - pro und contra

Der Bundestag hat in dieser Woche intensiv diskutiert. Bisher liegen drei Vorschläge vor: eine Impfpflicht ab 18 Jahre, eine Pflicht ab 50 Jahre und die Ablehnung einer Impfpflicht.

Argumente gegen eine Impfpflicht

In diesem Beitrag stelle ich die Positionen gegen eine Impfpflicht vor:
Dabei beziehe ich mich auf Argumente aus der Gegenüberstellung im ZDF, der Landeszentrale für politische Bildung sowie Berichten in der Süddeutschen Zeitung. Interessant fand ich den Kommentar von Lothar Gorris: Lasst das mit der Impfpflicht.

Verfassung und Grundrechte

Ohne Frage ist eine Impfpflicht ein schwerer Eingriff auf die körperliche Unversehrtheit. Es ist genau zu überprüfen, ob die Gesundheit anderer Menschen nicht anders zu schützen ist.

Zweifel an der Wirksamkeit  

Die Impfung bietet zwar einen guten Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf und reduzierte bisher auch das Risiko der Übertragung - doch dieser Schutz ist nicht einhundertprozentig und vor allem bei Omikron können die bisherigen Impfstoffe eine Übertragung kaum verhindern
Für die aktuelle Welle ist die Impfpflicht ohnehin zu spät – Gegner verweisen dann

Sanktionen schwer durchsetzbar

Viele zweifeln an der Umsetzung: Es gibt kein Impfregister, anhand dem man Verstöße nachverfolgen kann und auch Sanktionen sind kaum durchsetzbar. Eine Pflicht, die man nicht durchsetzen kann, sollte man also lieber lassen. Manche sehen in der Impfpflicht auch ein Misstrauen des Staates gegenüber den Bürgern.

Trotzreaktionen

Impfskeptiker werden sich durch die Impflicht nicht überzeugt lassen. Sie werden eher zahlen als einzuknicken. Das Fälschungswesen mit Impfausweisen könnte einen neuen Aufschwung bekommen.
Forscher warnen vor einer Trotzreaktion, d.h. die Impfbereitschaft könnte sogar noch abnehmen, wenn eine Impfpflicht kommt  Seit Beginn der Epidemie haben fast alle Politiker*innen eine Impfpflicht abgelehnt, nun finden viele eine Impfpflicht notwendig. Das ist nicht nur für Impfgegner schwer verständlich. Die Impfpflicht im Gesundheitsbereich könnte zu Kündigungen führen und die schwierige Situation noch verschärfen.

Abwarten

Lothar Görris setzt auf Abwarten und die Hoffnung, dass die aktuelle Mutation die postpandemische Phase einleiten könnte. „Ausgerechnet jetzt Skeptiker und Verweigerer zur Impfung zu verpflichten, wäre schwierig“.


Argumente für eine Impfpflicht

Impfungen retten Leben

Das wichtigste Argument: Impfungen können Ansteckungen verhindern und vor schweren Verläufen schützen. Die Intensivstationen sind voll mit Ungeimpften – eine Überlastung des Gesundheitssystem droht. Die Impfung ist eine moralische Pflicht – eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und für Menschen, die sich nicht impfen lassen können.

Freiwilligkeit hat nicht funktioniert

Bisher setzte Deutschland auf Freiwilligkeit bei der Corona-Impfung. Doch die Impfquote ist nicht ausreichend, um die Pandemie nachhaltig einzudämmen. Die Wissenschaft gibt das klare Signal: Ohne eine Impfquote von mehr als 90 Prozent bekommen wir die Pandemie langfristig nicht in demnach  Griff. Auch schlimme Krankheiten wie Pocken wäre ohne eine Impfpflicht nicht ausgerottet werden.

Impfpflicht könnte Impfskeptiker überzeugen

Auch wenn es paradox klingt, könnte eine allgemeine Impfpflicht manchen Impfskeptiker helfen. Bisher haben sie ihre ablehnende Haltung in ihrem privaten Umfeld vehement verteidigt und glauben, ihre Meinung nun nicht mehr ändern zu können, ohne das Gesicht zu verlieren. Die Impfpflicht könnte eine Rechtfertigung gegenüber dem Umfeld sein.

Nicht abwarten

Auch wenn die Impfpflicht nicht gegen die aktuelle Omikron-Wellte hilft, waren viele Experten vor dem nächsten Herbst mit erneut stark ansteigenden Infektionszahlen. Abwarten ist für sie deshalb der falsche Weg – wichtig sei deshalb eine Kampagne mit Aufklärung, Information und ausreichend Angeboten.

Freitag, 21. Januar 2022

Gewalt und Hass in den sozialen Netzwerken

Einen weiteren erschütternden Bericht über Gewalt und Hass in den sogenannten sozialen Netzwerken bietet das ZDF-Magazin Frontal.

Hass vor allem gegen Frauen

Am Beispiel einer Krankenschwester, die online auf den Pflegenotstand hinweist und der Politikerin Sawsan Chebli zeigt der Bericht welch üble Beleidigungen im Internet und realen Leben zu erleiden haben. Besonders betroffen davon sind junge Frauen zwischen 15 und 24 Jahren, so das Ergebnis einer Umfrage der Kinderrechtsorganisation "Plan International": In Deutschland gaben 70 Prozent der befragten Personen an, schon digitale Gewalt und Belästigung in den sozialen Medien erlebt zu haben. Die Politik hat lange das Problem der Hasskriminalität lange unterschätzt.

Endlich schärfere Reglementierung

Der Bericht zeigt, dass die Techgiganten wie Facebook nur wenig Interesse an einer konsequenten Verfolgung von Hassrede hat. IM Darknet kann Hass sogar gekauft werden - Für 15.000 Dollar kann eine Person gezielt mit Hassbotschaften angeprangert werden. Juristen fordern deshalb schärfere Reglementierungen, damit die Täter nicht mehr größtenteils ungestraft davonkommen.